zurück zu den aktuellen Kritiken

Ronja Räubertochter


"Ronja Räubertochter" in der taz

KURZKRITIK: HENNING BLEYL üBER RONJA RäUBERTOCHTER

Prächtig unromantisch

03.12.2010


Bei aller Retro-Seligkeit: Es tut gut, wenn die 80er Jahre mal komplett weg gebürstet werden - wie jetzt bei der Inszenierung von "Ronja Räubertochter" am Goetheplatz. Wie hervorragend der Lindgren-Klassiker, 1984 höchst erfolgreich fürs Kino verfilmt, auch ohne schwarzlockig-wildes Waldmädchen funktioniert, beweist Karsten Dahlem in einer prächtig unromantischen Regiearbeit. Dass diese spritzig-witzige Ronja-Fassung einen deutlichen Bruch mit der Märchen- und Ausstattungsseligkeit markiert, die Dirk Böhlings Weihnachts-Inszenierungen auszeichneten, ist nicht weniger wohltuend.

 

Dieses "Weihnachtsmärchen" ist intelligent und intelligenzfördernd - eben weil nicht alles gezeigt wird. Wenn das Bühnenbild andeutet statt ausmalt, wenn der Höllenschlund ein cooles Trampolin ist und die Rumpelwichte pinkfarbene Wuschel-Punks, die einen entspannt-versponnenen "Was ist denn blues" singen - dann haben Erwachsene viel Spaß und Kinder lernen, dass gutes Theater von phantasievollem Weiterspinnen statt von perfekter Abbildung lebt.

 

Keine Sorge: Die Wilddruden sind schon noch gruselig und Ronjas Loyalitätskonflikt zwischen Freund und Vater transportiert sich trotzdem in aller pubertären Tiefe. Nur ist dieser Vater eben Siegfried Maschek, also so ziemlich das Gegenteil eines muskelbepackten, zotteligen Räuberhauptmanns. Franziska Schuberts "Ronja" entspricht dem Typ verwöhnte Tussi, die sich in der Bärenhöhle an Fertig-Pizza gütlich tut, Birk Borkasohn (Philipp Michael Börner) ist ein Halbstarker mit Mofahelm. Kurz: Die Bremer Theaterfassung verhält sich zum Lindgren-Roman wie die "Westside Story" zu "Romeo und Julia". Und das ist auch gut so.

 

(Der Artikel ist da.)

 


"Ronja Räubertochter" in der Nordwestzeitung

BREMEN, 23. November 2010

Gespenster und Rumpelwichte

Premiere  „Ronja Räubertochter“ im Bremer Theater am Goetheplatz

Regie führte Karsten Dahlem. Der Kinderbuchklassiker wurde in der Inszenierung tüchtig aufgefrischt. Weihnachtliches Zaubertheater und realistische Szenen wechseln einander ab.

von Sven Garbade

Bremen - Weg mit den Knollen-Nasen, fort mit dem Wurzelholz! Am Bremer Theater geht jetzt „Ronja Räubertochter“ ohne die üblichen Wuschel-Mähnen ganz prächtig über die Bühne. Poppig, modern und höchst unterhaltsam wurde der Kinderbuch-Klassiker aufgefrischt. So begeisterte die Premiere nicht nur die jungen Besucher.

Dabei fällt es schwer zu sagen, wo genau das Geheimnis dieser liebevoll eingerichteten Inszenierung von Karsten Dahlem liegt. Den Kern der Vorlage von Astrid Lindgren hat er jedenfalls ins Heutige transformiert.


Pizza im Plastikzelt
Und dennoch gibt es im Theater am Goetheplatz viel zu sehen: Mal schneit es, mal wird ganz profan Pizza in einem Plastikzelt gegessen, welches als Räuberhöhle dienen muss. Immer stimmt die Mixtur aus weihnachtlichem Zaubertheater und einer realen Bodenhaftung, die dem Stück sogar eine gewisse Aktualität verleiht.

Der Räuberwald wird zum Popkonzert, zum Spielplatz für ganz normale junge Menschen. So sieht die Bühne (von Christa Beland und Katja Fritzsche) aus, als hätte hier zuvor ein Raubzug durch den Fundus stattgefunden: Königsroben, Lederjacken und knallbunte Flokati-Fummel werden bei Bedarf übergeworfen. Und irgendwann tauchen auch hier Waldgespenster und Rumpelwichte auf.

Ronjas Vater (Siegfried W. Maschek) sieht wie ein Gangster zu Al Capones Zeiten aus – oder vielleicht wie ein heutiger Dieb (was immer das auch heißen mag). Ein herzensguter Mann ist er auf jeden Fall. Und die Mutter (Susanne Baum) kann mit ihrer Lederjacke als eine heutige Rockerbraut gelten.


Modernes Märchen
So sausen die Figuren über zwei große Rampen und über den „Höllenschlund“, der auf der Vorbühne die beiden verfeindeten Räuberfamilien trennt. Komödiantische Schattenrisse huschen als Projektion wie im Stummfilm vorbei. Aus einer Loge wehen Akkordeon-Klänge herein, die dieses moderne Märchen mit einer herrlich wehmutsvollen Atmosphäre grundieren. Alles stimmig, alles gut.

Am allerbesten sind aber die Räuberkinder selbst: Franziska Schubert und Philipp Michael Börner legen eine richtig schöne Liebesgeschichte hin, bei der vor allem die anfänglichen Neckereien den Kindern im Publikum gut gefallen haben.


Keine Schnulze bitte! So macht das Räuberleben Spaß.

 

(Der Artikel ist da.)

 


"Ronja Räubertochter" in der Kreiszeitung

 

Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ lässt sich am Theater Bremen beim Erwachsenwerden beobachten

Keine Sendepause am Höllenschlund

 

Von Johannes Bruggaier

BREMEN (Eig. Ber.) · Zu den Absurditäten des Literaturnobelpreises gehört die Ignoranz der Juroren gegenüber Astrid Lindgren. Es sind schon Autoren geehrt worden, deren Namen allenfalls einem engen Expertenkreis geläufig waren, Lindgren dagegen ging immer leer aus. Grund: sind ja nur Kinderbücher.

 

Eines dieser Kinderbücher, „Ronja Räubertochter“, ist nun schon seit einigen Jahren der Renner deutschsprachiger Theaterbühnen. Dabei war es für diese ursprünglich gar nicht vorgesehen. Der Roman aber vereinigt zeitlos relevante Themen auf eine derart sinnhaft dramatische Weise, dass seine Aufnahme ins Repertoire des Kinder- und Jugendtheaters geradezu zwangsläufig erscheint.

In Bremen hat nun Regisseur Karsten Dahlem das Werk als Weihnachtsmärchen für die Bühne eingerichtet (Textfassung: Barbara Hass) – und dabei weniger mit literarischen Gattungsproblemen zu kämpfen als mit Schicksalsschlägen der ganz profanen Art. Schauspieler Christoph Rinke nämlich, vorgesehen für die Rolle des Birk Borkasohn, brach sich wenige Tage vor der Premiere den Fuß. Premieren lassen sich verschieben, Produktionen zur Not auch mal ganz kippen. Nur ein Weihnachtsmärchen, die Lebensversicherung eines jeden Hauses, muss laufen. Koste es, was es wolle.

Viel kostet es nicht. Zu schlüssig ist Dahlems Konzept, als dass es sich durch einen unglücklichen Ausfall ins Wanken bringen ließe. Ohnehin ist es an Franziska Schubert, in der Titelrolle die Grundtonart dieses Abends anzustimmen. Sie entscheidet sich für einen Charakter, den viele Eltern im Saal nur allzu gut kennen dürften. Kämpferisch, trotzig, stur: wie heranwachsende Mädchen so sind. Als solches möchte sie in den großen dunklen Wald aufbrechen, wovor es Mattis (Siegfried W. Maschek), ihren besorgten Vater, graut. Die Wilddruden müsse sie fürchten, belehrt er Ronja: die Graugnome und Rumpelwichte ebenfalls. Gefährlich auch die Wölfe und die Borka-Räuber. Und: der Höllenschlund!

Rührend wirkt diese Warnung, angesichts der kleinen Pappbäumchen, die auf den lustig schrägen Bühnenelementen herumstehen (Bühnenbild: Christa Beland). Doch dann wird es plötzlich finster im eben noch sommerhellen Wald, seltsame Laute verkünden Unheil, Tiere schreien, Gnome wimmern, und plötzlich stakst ein riesiges, nachtschwarzes Vogelwesen durchs Gebüsch. Da ist sie, die grausige Wilddrude: ein durchaus beängstigendes Wesen, jedenfalls für Kinder ab sechs.

So kann es gehen, wenn man zu Beginn seines langen Weges in die Selbständigkeit gleich ganz allein in die Welt da draußen aufbricht. Andernfalls aber lernte Ronja vielleicht nicht Birk (Philipp Michael Börner) kennen, diesen Wirrkopf von der Borka-Sippe, der aber nach und nach immer netter wird. Anfangs mutet Birk noch unsagbar albern an mit seinem Motorradhelm unterm Arm und den ach so coolen Sprüchen: „Hey, Räubertochter. Jetzt is‘ aber mal Sendepause!“ Verächtlich äfft Ronja diese Worte nach, und doch wird spürbar, wie gerade in der Parodie der erste Schritt zur Annäherung erfolgt. Verbirgt sich doch hinter der zur Schau getragenen Verachtung nicht mehr als ein Schutzschild vor dem Fremden, ein eingeübter Reflex auf die ungeheuerliche Erfahrung des Neuen.

Börners Birk ist ein frühpubertierender und damit unsicherer Zeitgenosse, der hinter der Fassade männlicher Selbstgewissheit seine Verlegenheit nicht verbergen kann. Das ist eine beachtliche Interpretation, angesichts der äußerst knapp bemessenen Probenzeit, wenngleich es – die Umstände entschuldigen es – für eine weitere Entwicklung des Charakters nicht reicht. Anders Franziska Schubert, deren Ronja sich beim Erwachsenwerden beobachten lässt: eine Persönlichkeit, die ihrer Unmündigkeit entflieht, an den Widrigkeiten ihrer Umwelt reift und am Ende konkrete Pläne für ein sinnerfülltes Leben schmiedet.

Ein behutsamer Einsatz musikalischer Stilmittel verhindert das bei Weihnachtsmärchen so oft gepflegte Abdriften in eine Nummernrevue, und die komödiantischen Elemente verraten zu keiner Zeit die Substanz des Stücks. „Ronja Räubertochter“ ist immer noch zu allererst ein großer Roman. In der Inszenierung von Karsten Dahlem ist er aber darüber hinaus: ein eindrucksvolles Drama.

Weitere Vorstellungen: am 28. November um 15 und 17.30 Uhr sowie am 5. Dezember um 16 und 18.30 Uhr.

 

(zum Artikel gehts hier.)